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Kriegserinnerung: Ernst Brackert (91) sah die Bomben auf Wilster fallen

20240621 shz
ALS ER DEN ARTIKEL ÜBER DIE ERINNERUNGEN DES WILSTERANER OTTO ANDRESEN AN DEN BOMBENABWURF LAS,
TAUCHTEN BEI ERNST BRACKERT (91) DIE BILDER SEINER EIGENEN ERLEBNISSE WIEDER AUF. ILKE ROSENBURG

Ilke Rosenburg
Als ich den Artikel las, hatte ich gleich wieder die Bilder von damals vor Augen“, erzält Ernst Brackert. Familienangehörige aus Wewelsfleth mailten dem 91-Jährigen den Beitrag mit dem Titel „Otto Andresen (88) erinnert sich: Der Tag, an dem Bomben auf Wilster fielen und seinen Freund töteten“. „Ich habe so oft von dem Tag in der Familie erzählt, dass sie sicher waren, mich würde das interessieren.“ Brackert wohnt schon lange in Elmshorn, wuchs in Wewelsfleth auf. Der damals Elfjährige erlebte den Bombenabwurf vor 80 Jahren aus etwa fünf Kilometer Entfernung von Hochfeld aus. Er und seine Schulfreunde überlebten vielleicht nur, weil sie damals ungehorsam waren und einfach von Wilster nach Hause laufen wollten.

„Wir waren so fünf oder sechs aus Wewelsfleth, Beidenfleth und Hochfeld, die jeden Morgen mit dem Postbus nach Wilster und dann mit der Bahn weiter nach Itzehoe zum Gymnasium mussten“, erzählt Ernst Brackert. „Mein Vater war der Postbusfahrer“, fügt er lächelnd hinzu. Wie an jedem Morgen kamen sie am 15. Juni 1944, einem Donnerstag, am Bahnhof an, warteten mit anderen Schülern aus Wilster darauf, mit dem Zug weiterfahren zu können. „Der Zug stand da, aber sie sagten, dass ein Fluggeschwader angekündigt worden sei.“ Es wäre zu gefährlich, der Zug könnte auf freier Strecke bombardiert werden. Irgendwann entschieden die Kinder, einfach zu Fuß nach Hause zu laufen. „Der Postbus wäre ja erst am Nachmittag wiedergekommen“, erklärt der heute 91-Jährige.

Sie liefen los, überquerten den Steindamm und waren gerade an der Ecke Johann-Meyer-Straße, als sie einem Luftschutzwart in die Arme liefen. „Er hielt uns an, meinte, wir sollten in das Haus an der Ecke laufen und uns da im Keller in Sicherheit bringen.“ Da musste man folgsam sein, um keinen Ärger zu bekommen. Doch als sie am Hauseingang waren, war der Mann nicht mehr zu sehen. Ernst Brackert und seine Freunde wollten nicht in den Keller, sie wollten nach Hause. Und so liefen sie schnell aus Wilster raus, querfeldein. In Hochfeld sahen sie die Flieger nahen. „Wir haben uns noch gefragt, warum fliegen sie nicht wie sonst elbaufwärts Richtung Hamburg, sondern kommen immer näher?“ Die Kinder duckten sich am Graben. Von dort verfolgten sie die etwa zwölf Bomber. „Sie flogen in Formation über Wilster, und dann fielen die Bomben. Das Bild habe und werde ich nie vergessen. Wir hörten die Detonationen, sahen den schwarzen Rauch an mehreren Stellen aufsteigen“, berichtet er. Dann liefen sie schnell weiter. „Zu Hause haben wir aufgeregt erzählt, dass es in Wilster gebrannt hat.“ Das Ausmaß der Zerstörung, die 51 Menschenleben und Hunderte Verletzte in der kleinen Stadt forderte, sei ihnen erst in den Folgetagen bewusst geworden. „Wir mussten ja auch in den nächsten Tagen wieder mit dem Bus und dem Zug zur Schule. Aber die große Zerstörung habe ich nicht mehr so vor Augen.“ Nur eines: „Das Haus, in dem wir uns im Keller in Sicherheit bringen sollten, war von einer Bombe zerstört worden.“ Ihn traf die Erkenntnis wie ein Schock: „Wenn wir folgsam gewesen wären, hätten wir nicht überlebt.“

Ein Überlebender im zerstörten Haus
Es sei noch gar nicht so sehr lange her, dass er zufällig erfahren habe, dass in dem Keller doch nicht alle Menschen gestorben waren. Der Elmshorner sei bei einem Geburtstag, vielleicht vor 15 Jahren erst, mit jemandem über den Bombenangriff auf Wilster ins Gespräch gekommen. „Und ob Sie es glauben oder nicht, es stellte sich heraus, dass der Mann als Junge in genau jenem Keller in Wilster war. Seine Mutter hatte sich über ihn geworfen, als das Haus getroffen wurde, und hat ihm dadurch das Leben gerettet.“ Er sei aber wohl der einzige Überlebende in dem Keller gewesen, meint Ernst Brackert – noch heute davon sichtlich berührt.

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