Mit welchem Messer stach Marieke zu?
Wilsters Stadtarchivarin Mareike Bünz gibt Einblicke in spannende Geschichte(n) von Toten, Hexen, Papst und Kochrezepten
Ilke Rosenburg
Sie wurde Wilster-Marieke genannt und war bei ihrer Schwester und deren Mann, Hinrich Nebeling, zu Besuch. Mit dem geriet sie in Streit. Es kam zu Handgreiflichkeiten. Wilster-Marieke, die eigentlich Maria Blunck hieß, wurde von Hinrich Nebeling geschubst und fiel hinter den Ofen. Als sie aufstand, griff die 36-Jährige sich ein Messer und stach ihm damit einen halben Zoll tief in die Brust. Der 38-jährige Stadtdiener kam ins Krankenhaus. Das war am 28. Februar 1797. Er starb nach einer Woche, aber nicht an dem Stich, wie an dem Leichnam festgestellt wurde, sondern an Faulfieber und Wundbrand. Wilster-Marieke wurde wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang angeklagt und zu zwei Jahren Zuchthaus in Glückstadt verurteilt. Nachzulesen auch in einem Aufsatz von Ruth E. Mohrmann, der 200 Jahre später, 1997, erschienen ist.
Das ist nicht die einzige spannende Geschichte in Wilster. Darüber hinaus gibt es auch einiges Kurioses und Kostbares im Stadtarchiv, das Mareike Bünz leitet. „Meine Arbeit macht Spaß“, sagt die Diplom-Verwaltungswirtin. Seit dem 1. Januar 2020 ist sie im Wilsteraner Stadtarchiv tätig, sichtet und ordnet – auch digital – das umfangreiche Archivmaterial im Obergeschoss des Neuen Rathauses. Gerne macht sie auf einige historische Schätze aufmerksam. So wie die Prozessakte von Maria Blunck, bei der sich im Archiv auch drei Messer befinden, wobei nicht bekannt sei, welches die Tatwaffe war: das Schustermesser, ein eingeschlagenes Messer oder ein Tischmesser?
Hexenverbrennung im 17. Jahrhundert
Auch ein schwarzes Kapitel der Gerichtsbarkeit in Wilster ist im Archiv zu finden: die berühmten Hexenprozesse der Jahre 1676/77. Drei Frauen wurden in Wilster der Hexerei beschuldigt und mussten lange Prozesse durchmachen: Stinke Ritzen (14 Jahre alt), Trienke Evers (40) und Trienke Kuhlmann (79). Stinke Ritzen und Trienke Kuhlmann wurden der Stadt verwiesen, Trienke Evers wurde zum Feuertod verurteilt und 1677 auf dem Wilsteraner Marktplatz öffentlich verbrannt. Die Akten der Hexenprozesse sind archiviert und wurden bereits aufgearbeitet. Ebenso wie auch weitere historische Ereignisse.
„Ich bin froh, dass es Aufsätze von verschiedenen Historikern im Archiv gibt“, so Bünz. Das erspare Zeit, denn das Lesen alter Schriften sei eine Herausforderung, variiere natürlich von Handschrift zu Handschrift. Kostbarkeiten des Wilsteraner Archivs sind zweifelsohne das alte Ratsbuch von 1376 bis 1603 und eine Urkunde von Papst Leo X. vom 10. Mai 1518. „Das Ratsbuch ist das wichtigste Archivstück“, sagt Bünz. Darin enthalten auch die Buurenspraak und die Konstitutionen der verschiedenen Gilden, die es damals in der Stadt gab. Aber natürlich habe die Papst-Urkunde auch eine besondere Bedeutung: Sie setzte im Grunde den Schlusspunkt um eine langjährige Streitgeschichte zwischen dem Bürger Bartelt Holste, dem Rat von Wilster und schließlich dem Hamburger Domkapitel. Aus dem Jahr 1519 gibt es dann noch eine Urkunde, die besagt, dass Holste Speicher und Gehöfte verkauft habe – und damit Wilster den Rücken gekehrt haben dürfte. Allerdings gebe es im gesamten Ablauf des Geschehens einige Lücken, denn nicht alle Urkunden und Protokolle seien vollständig.
Und dann seien da noch die kleinen Schätze, die ihr Herz erfreut hätten, so Mareike Bünz lächelnd. Als Beispiel weist sie auf ein Poesiealbum von 1806 von Heinrich Nicolaus Jacobs. Darin zu finden ein besonderer Eintrag: ein Freundschaftsgruß von Johann Diedrich Conrad August Doos, zweiter Sohn der Etatsrätin Doos, Wohltäterin der Stadt Wilster. Er wurde nur 17 Jahre alt, schrieb seinem Freund Heinrich die Zeilen 1807, ein Jahr vor seinem Tod. Das erste Kind der Etatsrätin starb bereits bei der Geburt, der dritte Sohn wurde nicht einmal drei Monate alt. Von Johann Diedrich Conrad August Doos existiert ansonsten nur ein Gemälde im Neuen Rathaus, das ihn als Kind zeigt. Andere Dokumente enthalten manch Kurioses. So wie das Kochbuch von 1797. Damals kam schon Bekanntes wie Buttermilch- oder Graupensuppe auf den Tisch. Aber eben auch Brodteis, Krebstorte, Sauerampfertorte und gebackene Milch oder gebratene Rebhühner, Schnepfen, Wacholderdrosseln, Lerchen und Ortolanen (Gartenammer). Das historische Kochbuch wurde 1955 von Anna Albers dem Archiv gestiftet, der Verfasser ist unbekannt.
Ein Kanal zwischen Eider und Stör
Überraschend auch regionale Pläne zum Eider-Stör-Kanal 1776, festgehalten in einem Aufsatz von Heinz Ramm aus dem Jahr 1956. Danach wurde im 18. Jahrhundert überlegt, in Höhe Heiligenstedten einen Kanal anzulegen, der durch das heutige Amt Schenefeld bis in Höhe Breiholz in die Eider münden sollte.
„Die Arbeit hier ist etwas für Neugierige“, meint Mareike Bünz lachend. Es sei einfach spannend, wie viel Geschichte in der Stadt Wilster stecke, schwärmt die Stadtarchivarin. Und zwar aus allen Jahrhunderten. Gerne würde sie mehr Überlieferungen auch aus der jüngeren Geschichte Wilsters entgegennehmen und archivieren. Fotos seien immer beliebt, Erinnerungen aus Kindheit oder Jugend können zudem gerne niedergeschrieben werden. Selbst aus den 1970er- oder 80er-Jahren sei doch interessant zu erfahren, wie das Leben in Wilster war und wie sich das Stadtbild seither verändert hat.
Zu erreichen ist die Stadtarchivarin unter Telefon 04823/ 920279 und